Stochern

Ein Stück Anti-Sackgasse

"Wir machen hier Lebenskunst, aber wir sind hier auch und irgendwie in erster Linie Arbeitskollegen."   So möchten sie nicht enden, so unwillkürlich vorhersehbar, als psychosomatisch fremd bestimmte Sklaven. Peter und Petra, zwei aus der eigenen Biografie Hervorgekrochene, zwei gestrandete Jetztzeit-Figuren, haben sich  in letzter Sekunde aus einem bösen Stück der Autorin Sybille Berg retten können und  möchten sich fortan der Erforschung der eigenen Wahrnehmung widmen, in einer selbst geschaffenen Realität. Peter und Petra sind entschlossen, dem Moment auf die Spur zu kommen, als in ihrem Leben ein Knacks alte Sicherheiten in Frage stellte.  Das Leben bewusst zu steuern, es als Projekt verstehen, offenen Auges dem Selbstverständlichen, Vorhersehbaren zu trotzen, heißt die Devise. Vielleicht ist das Lebenskunst, vielleicht sogar Kunst, in jedem Fall ein Experiment ohne Lehrbuch und Vorbild. So ergreift das bewusst orientierungslose Paar mehr oder weniger geeignete Maßnahmen, den einfachen Auswegen aus dem Weg zu gehen, und sie lassen uns daran Teil haben. Das Dasein, das Paarsein wird für eine knappe Stunde neu erfunden, offen, nicht ergebnisorientiert und auf jeden Fall seltsam beruhigend. Eine meditative Installation für zwischendurch aus Textfragmenten von Sybille Berg, Ingrid Lausund, Roger Willemsen und vielen anderen .

... Die ohnehin sparsam gehaltenen Dialoge reduzieren die Kommunikation auf ein Minimum. Erst im Laufe der kurzweiligen Stunde öffnen sich die beiden einander, wobei Imme Beccards Ausraster beim Marmeladenkauf nur einer der denkwürdigen Momente ist, die das Ensemble immer wieder aus dem Nebel des Alltags aufblitzen lässt. Themen des Konsums durchziehen das Stück in Regelmäßigkeit, meist um auf ihre zerstreuende Wirkung abzuzielen. Dass man ein ganzes Tischgespräch mit der Beschreibung von unterschiedlichen Kartoffelsorten bestreiten kann, ist dabei nur eine geschickt herausgearbeitete Pointe. Auch die Tatsache, dass die abstrahierten Möbelstücke des Bühnenbilds verspiegelt sind, weist auf das Projektionsbedürfnis des Menschen hin, der sich selbst noch am ehesten in den Dingen erkennt, die er sich einmal gekauft hat.
Gelungenes Projekt
Angekündigt wird das überaus gelungene Projekt als „eine meditative Installation für zwischendurch“. Das ist trotz aller Kürze eine bescheidene Beschreibung. M21 gelingt hier eine besondere Präsentation des menschlichen Suchens, die auch ohne Finden als Ganzes daherkommt.

Göttinger Tageblatt 07.01.2013
  • Projektleitung: Joachim von Burchard
  • Ausstattung: Jeannine Simon
  • Dramaturgie: Nicola Bongard
  • Mit: Imme Beccard und Johannes Nehlsen
  • 2012
Stochern
Szenenfoto
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